Ein altes rethorisches Grundglaubensbekenntnis: „de mortuis nisi bene“ verdanken wir den Römern. Auch für sie war der Moment der Verabschiedung aus dem irdischen Zirkel etwas Heiliges. Schimpf, Schande und Kritik hatten hier nichts zu suchen. Schweigen war besser als die Erwähnung der dunklen Seiten im Lebensbuch des Verstorbenen.
Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert – einer der wenigen wirklich begabten und beseelten Redner des letzten Bundestags – hat in seiner (22. 6. 2017) Rede auf den verstorbenen Altkanzler Helmut Kohl mit dem römischen Schweigegebot gebrochen. Auf sehr gewinnende Weise. Womöglich kam er bei der Frage, wie man Kohl ehren kann, ohne Wesentliches zu verschweigen, auf die Antwort: „geht gar nicht!“ Jedenfalls gelang ihm eine Würdigung ohne kontinentale Verschweigepassagen: „Kohl war bisweilen eine außergewöhnlich sture Persönlichkeit.“ Auch wenn man sich als einfacher Bürger seiner erinnert, kann man dem nur zustimmen. Seine Verdienste um die deutsche Einheit werden um kein Gran geschmälert, wenn man seinen Gesetzesbruch in Sachen Parteispenden ebenfalls erwähnt. Und manches andere.
Auch die in Stein gemeißelten rethorischen Regeln sind es in Wirklichkeit nicht. Mit Mut und Taktgefühl – so zeigt Norbert Lammert – kann man ihre buchstäblichen Anweisungen außer Kraft setzen, ohne ihren Geist und ihre eigentliche Botschaft zu beschädigen.